
Astrologische Bedeutung
Im tropischen Tierkreis der westlichen Astrologie fällt die Sommersonnenwende in die Nähe des Übergangs in das Zeichen Krebs, während die Wintersonnenwende den Eintritt in den Steinbock markiert. Beides sind Kardinalpunkte des Jahreszyklus. In der Astrologie wird der Zeitpunkt der Sonnenwende daher oft als Wendepunkt betrachtet: Die Sommersonnenwende markiert symbolisch den Beginn der Phase der Reife und des Rückzugs der Sonne (und des Lebens), die bis zur Herbsttagundnachtgleiche andauert, während die Wintersonnenwende den Neubeginn des Sonnenjahres einläutet. In anderen astrologischen Systemen spielen auch die 24 chinesischen Jahreszeiten ("Jieqi") eine Rolle: dort heißt die Sommersonnenwende Xiàzhì und die Wintersonnenwende Dōngzhì.

Spirituelle Perspektiven
In vielen Naturreligionen und esoterischen Traditionen werden die Sonnenwenden als Zeiten großer spiritueller Kraft und Erneuerung gefeiert. Sie sind zentrale Feste im Jahreszyklus neuheidnischer Bewegungen: So heißen die Sonnenwendefeste im Wicca beispielsweise "Litha" (Sommer) und "Jul/Yule" (Winter). Die Sommersonnenwende wird oft mit Fruchtbarkeit, Erneuerung und dem Triumph des Lichts über die Dunkelheit in Verbindung gebracht. In vielen keltisch-germanischen Traditionen symbolisieren Feuerrituale, Tänze und Schwitzhütten die Vertreibung der Schatten und die Bitte um eine reiche Ernte. Die Wintersonnenwende hingegen steht für Geburt und Neubeginn - im germanischen Heidentum symbolisiert das Julfest beispielsweise die Wiedergeburt des geopferten Jahresgottes (Tod des alten Jahres) und das Versprechen von zunehmendem Sonnenlicht. In modernen New-Age- und schamanischen Praktiken wird in ähnlicher Weise betont, dass nach der längsten Nacht ein neuer Zyklus beginnt und mit den länger werdenden Tagen auch das Yang-Licht wieder stärker wird (der Beginn einer Zeit des Lichts).

Historische Ursprünge und Rituale
- Stonehenge (England): Dieses neolithische Monument (erbaut um 3100 v. Chr.) ist bekanntlich so ausgerichtet, dass die Richtung des Sonnenaufgangs am Tag der Sommersonnenwende mit dem zentralen Trilithen-Hufeisen übereinstimmt. Archäologen gehen daher davon aus, dass Stonehenge unter anderem als prähistorisches Observatorium und Kultstätte diente, wo zu den Sonnenwenden gesellschaftliche oder kultische Rituale stattfanden.
- Julfest (Deutschland und Skandinavien): In der nordischen Tradition wurde das Julfest um die Wintersonnenwende gefeiert. Historisch gesehen lag das Datum wahrscheinlich in der Mitte des Winters (die längsten Nächte), das mit dem Datum von Weihnachten zusammenfiel. In vorchristlicher Zeit galt es als Fest zur Feier der Wiedergeburt der Sonne. Im Neuheidentum wird Julfest als eines der wichtigsten Feste des Jahres gefeiert, mit dem symbolisch die Auferstehung des Jahresgottes oder der Sieg des neuen Jahreskönigs zur Wintersonnenwende gefeiert wird. Das Haus wurde geweiht und Essensbräuche wurden eingehalten (heute zum Beispiel viele Weihnachtsbräuche wie das Verbrennen von Räucherstäbchen oder Yule Logs).
- Inti Raymi (Anden, Peru): Das Fest des Sonnengottes Inti war das wichtigste jährliche Fest im Inkareich und fiel auf die Wintersonnenwende (21. bis 24. Juni in der südlichen Hemisphäre). Die Sonne wurde als Vater aller Lebewesen verehrt und für ihre "Rückkehr" nach der kürzesten Nacht des Jahres gefeiert. Noch heute wird das Inti Raymi (wörtlich "Fest der Sonne") in Cusco als farbenfrohe Wiederbelebung der Inka-Rituale gefeiert.
- Dongzhi-Fest (China): Auch in Ostasien ist die Wintersonnenwende traditionell ein wichtiges Familien- und Ahnenfest. Historisch gesehen führten die Han-Herrscher Zeremonien zur "Gratulation des Winters" durch, und bis heute gilt Dongzhi als eines der vier wichtigsten Feste des Jahres. Traditionen wie das gemeinsame Essen von klebrigen Reisbällchen (Tangyuan) symbolisieren die Einheit von Yin und Yang und die Aussicht auf zunehmendes Licht. In einem chinesischen Kulturbericht wird betont, dass das Dongzhi-Fest "in alten Zeiten ... ein bedeutendes und wichtiges Fest war."

Bedeutung im Taoismus
Im Daoismus verkörpern die Sonnenwenden die zyklische Dynamik von Yin und Yang. Die Sommersonnenwende markiert den Höhepunkt des Yang-Prinzips: "Mit der Sommersonnenwende erreicht das Yang-Prinzip den Höhepunkt seines Wachstums und beginnt zu sinken, während das Yin-Prinzip allmählich zuzunehmen beginnt." Dementsprechend stellt die Wintersonnenwende die Umkehrung dar: Seit der längsten Nacht nehmen die Yang-Energien nun wieder zu und ein neuer Zyklus beginnt (Tageslicht nimmt zu). Das berühmte Taiji-Symbol veranschaulicht diesen ständigen Wandel (im Laozi Daodejing 77 heißt es, dass das, was hoch ist, nach unten zieht, und das, was niedrig ist, nach oben hebt).
Für Daoisten ist es wichtig, im Einklang mit diesen kosmischen Rhythmen zu leben: Gesundheit und Harmonie entstehen, wenn Mensch (Mikrokosmos) und Natur (Makrokosmos) im Gleichgewicht mit Yin und Yang schwingen. Die Sonnenwenden erinnern uns daran, dass auf jeden Höhepunkt eine Periode der Ruhe folgt und umgekehrt - ein Muster, das in allen natürlichen Zyklen zu finden ist.

Verbindung zur klassischen chinesischen Medizin
Auch die TCM leitet aus den Sonnenwenden Empfehlungen für die Lebensführung und Ernährung ab. Nach dem Fünf-Elemente-Prinzip wird der Sommer dem Feuerelement (Herz/Energie, Yang-Zeit), der Winter dem Wasserelement (Niere/Substanz, Yin-Zeit) zugeordnet. Im Hochsommer (Yang im Überfluss) führt die Hitze dazu, dass die Körperflüssigkeiten (Yin) abnehmen und sich die Poren öffnen. Deshalb empfiehlt die TCM, im Sommer kühlende und flüssigkeitsreiche Lebensmittel zu wählen - idealerweise aber gekocht, um das Verdauungs-Qi zu schützen. Eis und rohe Salate kühlen zwar äußerlich ab, schwächen aber leicht das Milz-/Magen-Qi und können auf Dauer zu einem "Verdauungskollaps" führen. Traditionell werden daher Sommersuppen (Gazpacho, gekochtes Gemüse, Obstkompott) verwendet und der Schwerpunkt auf leicht verdauliche Körner (Weizen, Hirse) gelegt.
Nach der chinesischen Medizin dominiert im Winter die Kälte (Yin), weshalb man sich vor Auskühlung schützen und den Körper mit wärmenden Lebensmitteln stärken sollte. Da das Yin und das Yang der Nieren besonders berücksichtigt werden, neigen die Menschen dazu, gekochte Eintöpfe, Suppen und Gewürze zu genießen und vermehrt wärmende Lebensmittel und Proteine (Fleisch, Hülsenfrüchte) zu sich zu nehmen. Gleichzeitig essen sie nährstoffreiche Lebensmittel, die die Nierensubstanz stärken, wie Nüsse, Trockenfrüchte, Hülsenfrüchte und Wurzelgemüse. Insgesamt sollten Ernährung und Bewegung das jahreszeitliche Klima berücksichtigen: Hitze und Feuchtigkeit im Sommer (feuchte Hitze) werden durch kühlende, leichte Lebensmittel ausgeglichen, während Kälte und Trockenheit im Winter (kalte Hitze) durch wärmende, nährstoffreiche Mahlzeiten ausgeglichen werden. Ziel ist es, Körper und Geist im Gleichgewicht mit dem wechselnden Yin-Yang-Rhythmus der Jahreszeiten zu halten.
Wolfgang Heuhsen 2025